Wanda Stolle

– dunkle Farbe wie glänzende Kohle, in Schichten immer wieder übereinander gelegt und bearbeitet. Auf großen, raunfüllenden Leinwänden, aber auch kleinen Formaten, in die sie fein ziselierte Muster aus sorgfältig gezogenen schwarzen Linien hineinarbeitet, scheinbar dreidimensional, wie hinein gefaltet, ausdrucksreiches Graphit. Wanda Stolle schafft einfarbige, dunkel leuchtende Werke, die der Phantasie lichten Raum schaffen.

PORTRAIT - WANDA STOLLE > hier weiterlesen

Wanda Stolle - flogra

Wanda Stolle – flogra

Eine hölzerne Wandskulptur, fast 2 m breit und gut 1,20 hoch, gefertigt aus Biegeholz: „flogra“, altnordisch für Flagge, erschaffen von der jungen Berliner Künstlerin Wanda Stolle. Die Seiten der Skulptur wölben sich in den Raum, eingerollt wie leichtes Pergament, ein vom Wind bewegtes Banner. Graue Farbe in vielen Schattierungen, Spuren von Gekratztem, Gewischtem, hell Glänzendes. Die Oberfläche der Skulptur schimmert in Grautönen – und etwas Blau vielleicht…? „Nein, da spiegelt sich der Himmel“, sagt die Künstlerin und berichtet, abends nähme das Bild die Farben des Abendrots in sich auf und leuchte rötlich: Es korrespondiert mit dem Licht und dem Raum seiner Umgebung; es bestärkt dessen Wirkung. Die schimmernden Oberflächen in Graphit, in wochenlanger Arbeit von der Künstlerin schraffiert und geradezu hineingeschrubbt, führen ein Eigenleben.

Wanda Stolles Zeichnungen und Gemälde gleichen Skulpturen, doch für sie sind es „Bilder, die ich bildhauerisch bearbeite, denn ich brauche den Bezug zur Wand; meine Skulpturen dagegen bearbeite ich wie Zeichnungen“. Was die junge Berliner Künstlerin direkt zu der Frage führt: “Was ist ein Bild?”

Geboren wurde Wanda Stolle 1985 in Berlin, verbrachte ihre Kindheit im Stadtteil Pankow. Gezeichnet hat sie immer; noch heute sind ihr Zeichnungen etwas, wo Worte nicht reichen können.

Sie verließ die Heimat nach dem Abitur, ging für ein Freiwilliges Jahr nach Brasilien. In dieser völlig andersartigen Welt – während sie eine neue Sprache, eine völlig andere Kultur, Landschaft, Land und Leute kennenlernte, eine völlig andere Seite des Lebens – begann sie mit Papier und Stift festzuhalten, was ihr das Wichtigste an der spannenden neuen Umgebung schien. Sie zeichnete, notierte, arbeitete heraus. Was war das Essentielle, welche die entscheidenden Strukturen?

Mit geschärftem Blick kehrte sie zurück. Weist sie heute aus dem Berliner Atelierfenster auf das, was dort zu sehen ist, sieht sie „das Gesicht des Hauses dort, in Verbindung mit dem Himmel und der fast ornamentalen Struktur der Backsteine, deren Farbigkeit, Strukturen und Linien. Für mich das Wesentliche, das Essentielle“. Portraits von Menschen? „Haben etwas Narratives, das ich ausgrenzen möchte“.

Mit den in Brasilien entstanden Zeichnungen bewarb sich Wanda Stolle an der Universität der Künste in Berlin, der UdK. Wurde angenommen, studierte zügig gleich zwei Fächer, Lehramt und Freie Kunst. Zu ihren Professoren dort gehörten Frank Badur und Pia Fries. 2012 und 2013 schloss sie ab –und erhielt eines der begehrten Stipendien, die den drei besten Abgängern eines Jahrgangs vorbehalten sind.

“Farbwucht”, vor allem in Silikon, war das Thema der ersten Studienjahre, bis sie entdeckte, dies war nur eine Phase des Austobens: „Darum ging es gar nicht! Ich merkte, ich wollte in die tieferen Ebenen einsinken – in die Begrenztheit und die Strenge.“

Sie schwelgt in den unendlich vielen Graduierungen von Grau, genießt es, ihre Werke mit dunkler Tusche zu übergießen. Sah und verstand: Licht ist elementarer Teil ihrer Bilder. Viele ihrer Bilder in Schwarz und Grau reflektieren und entwickeln eigenständige Dynamik, „das bringt Farbe!“ Wogegen andere Gemälde der Künstlerin Wanda Stolle geradezu stumpf erscheinen, sie schlucken das Licht – und ziehen den Blick des Betrachters in die Tiefe des Bildes, werfen ihn auch auf sich selbst zurück.

„Es ist eine bestimmte Art von Sinnlichkeit, die meine Bilder auszeichnet“, sagt Wanda Stolle, „die fast meditative Dunkelheit der Farben…und die körperliche Erfahrung, die die Betrachter erleben – wenn sie sich bewegen!“ Was sie vom Betrachter fordert – zugleich auch dringlich vermittelt – ist Perspektivenwechsel.

Bereits mit einer großen an der Universität entstandenen Arbeit spielte sie mit den Perspektiven und dem Betrachter ging er auf das Bild zu, schien er in der Spiegelung vom Bild wegzugehen. Bei einer weiteren großen Arbeit wölben sich beide äußeren Seiten der Skulptur nach vorne: der Betrachter spiegelte sich – zwar lebensgroß, aber völlig verzerrt. Lediglich an der Mittellinie der Wandskulptur gab es eine einzige Position, die den Menschen unverzerrt spiegelte, eine Anamorphose genannte Technik, die die Spiegelung gezielt einsetzt. „Nur wer sich bewegt, kann das sehen“, erklärt die Künstlerin. Licht, Spiegelung – oder eben völlig fehlende Spiegelung – als zentraler Teil ihrer Werke; Raum und Bewegung der Betrachter als Teil ihrer Skulpturen.

Ein dicker Aktenordner birgt Wanda Stolles Schätze: Hunderte Photos aus astronomischen, kunsthistorischen oder wissenschaftlichen Büchern, meist antiquarisch entdeckt. Bildausschnitte, Photographien, Teile von Kunstwerken; Abbildungen, die sie sofort ansprachen und berührten. So das Bild aus einem Bergsteigermagazin der Dreißigerjahre. Nur ein Seil ist auf diesem Photo zu sehen, herabhängend vor freiem Himmel neben einer Felswand – daneben legt sie das Photo einer Madonna, erschaffen von einem unbekannten Meister des 16. Jahrhunderts. Durch die hölzerne Schönheit ihres Gesichts zieht sich ein Riss. „Tief wie eine Verletzung, in klarer Linie“ – und zeigt, es ist genau die gleiche Linie, die auch das Seil neben der Felswand so scharf nachzeichnet. „Das funktioniert zusammen“, kommentiert sie, inspiriert zu Bildern, manchmal Serien aus korrespondierenden Linien, Strukturen…

Noch während des Studiums setzte Stolle erstmals Cutter ein. Mit diesem Schneidegerät und ebenso messerscharfen Linienstrichen bearbeitete sie Serien auch kleinformatiger Werke. Zerschnitt sie, verletze sie quasi – um sie dann sanft mit Tusche zu übergießen und die Farbe fließen zu lassen, vielleicht zu wischen. Den Zufall nutzen, aber auch steuern. Die fein hinein geschnittenen Linien dieser zarten Arbeit lassen dieses Werke quasi ´aufspringen`, sie wölben sich hinein in den Raum. Dem Betrachter eröffnen sich neue Perspektiven der eigentlich doch flach für die Wand gedachten Bilder – je mehr er sich rund um das Bild herumbewegt, desto mehr.

Mit Eleganz zwingt die Künstlerin Wanda Stolle ihre Betrachter zu erkennen was das Wesentliche ist – und wie viele Blickwinkel es gibt.

 

Ausstellungen der Künstlerin Wanda Stolle gab es bereits mehrfach in Berlin zu sehen, u.a. in den Galerien Arndt und Reiter, außerdem in Leipzig und Landshut; 2018 wird sie mit dem Goethe-Institut in Rouen / Frankreich im Rahmen einer Gruppenausstellung ausstellen;

im Frühjahr 2018 wird in der Galerie Reiter in Berlin eine große Einzelausstellung von ihr zu sehen sein.

© Heike Rudloff, Berlin 2017